CDU Kreisverband Meppen

KURT BIEDENKOPF

«Eine sehr riskante Wette»

Von news.de-Redakteur Konrad Rüdiger
Kurt Biedenkopf ist auch mit 80 Jahren noch ein Vordenker. Bei der Tagung «20 Jahre Einheit» am Institut für Wirtschaftsforschung in Halle sprach er mit news.de über die neuen Milliardenschulden und die Zukunft des Sozialstaats.

König Kurt sieht die Dinge ohne ideologische Brille. Da könnten sich einige Jungpolitiker mal eine Scheibe abschneiden...

Herr Biedenkopf, Sie waren zwölf Jahre lang Ministerpräsident in Sachsen. Damals haben Sie die sogenannte Leuchtturmpolitik etabliert. Sind für Ostdeutschland in den kommenden Jahren wieder Leuchttürme nötig?

Biedenkopf: Die Leuchtturmpolitik war ja kein Dauerzustand. Sondern die Leuchttürme hat man gebraucht, um die mittelständische Wirtschaft zu beleben. Von ihnen soll ja nicht nur Licht, sondern Innovation und Anregung ausgehen. Um die Leuchttürme wie Volkswagen in Zwickau oder die Mikroelektronik in Dresden haben sich viele kleine und mittlere Betriebe angesiedelt, die zunehmend unabhängig sind. Es war sozusagen eine Initialzündung, wenn Sie so wollen. Und nennen wir es Zentren statt Leuchttürme. Es entwickeln sich immer neue Zentren. Da haben viele Unternehmen ihre Marktnischen gefunden und sind weit über Ostdeutschland hinaus erfolgreich.

Sehen Sie denn wirklich so gute Perspektiven für die ostdeutsche Wirtschaft?

Biedenkopf: Wir haben kein Ost-West-Problem mehr. Alle Fragen, die jetzt zu klären sind, sind deutsche Fragen. In ganz Deutschland findet keine nachhaltige, in die Zukunft gerichtete Debatte statt. Nicht nur in Ostdeutschland. Im Gegenteil, die Leute hier machen sich wahrscheinlich mehr Gedanken als anderswo.


Derzeit geht der Staat mit einer hohen Verschuldung eine große Wette ein.

Biedenkopf: Ja, das ist eine sehr riskante Wette.

Sehen Sie dadurch Spielräume, die zuvor da waren, eingeengt?

Biedenkopf: Die Verschuldung, die wir jetzt eingehen, darf nicht mit der Erwartung verknüpft werden, dass wir durch eine ständige Vermehrung des Bruttoinlandsproduktes in die Lage versetzt werden, sie zurückzuzahlen. Wenn wir die Wette trotzdem eingehen, dann bedeutet das, dass wir sie nur auf Kosten von Einschränkungen abtragen können.

Und die wären?

Biedenkopf: Schulden kann man auch durch Inflation abbauen. Das ist zwar in der Euro-Zone viel schwieriger geworden, aber möglicherweise steht uns das auch ins Haus. Und eine Inflation bedeutet eben real eine Verringerung des Lebensstandards, wenn die Inflationsraten nicht durch Produktivitätssteigerungen oder Wachstumsraten ausgeglichen werden. Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass wir stärkeren Beschränkungen ausgesetzt sind, als das vorher der Fall war. Das hat nicht nur mit der Finanzkrise zu tun.

Sondern?

Biedenkopf: Die große Frage ist: Wie erarbeiten wir uns unseren Lebensstandard in der Zukunft? Wo liegen unsere besonderen Qualitäten, die es weltweit rechtfertigen, dass es uns besonders gut geht?

Überspitzt gefragt: Muss Deutschland ein Billiglohnland werden?

Biedenkopf: Nein, das ist Unfug. Es geht darum, sich generell einzurichten in den neuen Wirklichkeiten. Und bevor ich darüber spekuliere, wie das passieren kann, möchte ich , dass das allen bewusst wird. Es ist eine enorme Aufklärungskampagne notwendig, weil wir uns in den letzten 20 bis 30 Jahren mit den ins Haus stehenden Veränderungen praktisch nicht befasst haben.

Sie haben es als große Leistung bezeichnet, dass nach der Wende der soziale Frieden gewahrt blieb. Sehen sie diesen jetzt wieder in Gefahr?

Biedenkopf: Das liegt allein an uns, ob der soziale Friede in Gefahr ist oder nicht. Das kommt doch nicht vom Himmel oder vom Staat. Das hängt davon ab, wie wir uns aufstellen, wie wir uns auf eine alternde Bevölkerung einstellen. Und wie sich die Zivilgesellschaft einsetzt. Wenn wir uns hinsetzen, und sagen: «Der Staat wird es richten», dann wird es nichts.

Diejenigen, die keine geregelte Erwerbstätigkeit haben, sind aber auch in Zukunft auf Hilfe vom Staat angewiesen.

Biedenkopf: Wir ersetzen auch jetzt schon die Einkommen derjenigen, die keine Arbeit haben. Es hungert niemand in diesem Land und niemand ist ohne Dach über dem Kopf. Und wir reden ja auch nicht darüber, ob sie das in Zukunft auch tun muss, sondern wie. Und ob diejenigen, die diese Unterstützung brauchen, auch alles tun, sich selbst zu helfen. Aber die Debatte stellt nicht das sozialpolitische Grundkonzept in Frage, auch wenn das aus populistischen Gründen oft so dargestellt wird.

Die Sozialstaatsdebatte konzentriert sich momentan stark auf den Missbrauch...

Biedenkopf: Eine Missbrauchsdebatte hat es immer gegeben. Die Art und Weise, wie sie jetzt geführt wurde, ist kontraproduktiv. Erstens muss man Sachverhalte haben und zweitens muss man differenzieren. Wir leben in einem Land mit einer unendlichen Pluralität an Lebensverhältnissen, das kann man nicht über einen Kamm scheren. Natürlich gibt es Missbrauch. Es gibt Missbrauch bei der Steuergesetzgebung, bei den Unterhaltszahlungen und bei Subventionen. Man muss die Strukturen so gestalten, dass man nicht ein Heiliger sein muss, wenn man nicht in die Versuchung kommen soll, Missbrauch zu begehen. Der Staat trägt eine ganze Menge zu der Missbrauchsversuchung bei. Er hat Dinge so organisiert, dass man das Gefühl hat, ohne Missbrauch komme ich gar nicht weiter. Das hat unser Lehrer Franz Böhm uns immer gesagt: «Sie müssen die Gesetze so machen, dass sie mit einem Minimum an moralischen Anforderungen an die Bürger auskommen.» Wenn sie zu viele moralische Anforderungen stellen, funktioniert die Sache nicht.

Sie sehen also den Gesetzgeber in der Pflicht?

Biedenkopf: Wenn ich eine Bedarfsgemeinschaft nach Hartz IV organisiere, weil ich keinen anderen Anknüpfungspunkt habe, und einer der beiden verdient genug für den Lebensunterhalt, dann kriegt der andere nichts. Dann sagt der natürlich, dass er nicht mehr in der Bedarfsgemeinschaft ist und zieht eine Tür weiter. Dann bekommt er wieder Hilfe. In dem Fall kann man sagen: «Das ist Missbrauch» oder eben «Das ist Selbsthilfe».

Kurt Biedenkopf (80) war von 1990 bis 2002 Ministerpräsident von Sachsen. Der CDU-Politiker engagiert sich als Förderer von Bildung unter anderem als Kuratoriumsvorsitzender der Hertie School of Governance.